Im Interview mit dem Handelsblatt ordnet Dr. Jens Ehrhardt die aktuelle Entwicklung an den Aktienmärkten ein und nimmt Stellung zu den hohen Erwartungen rund um das Thema Künstliche Intelligenz. Er beschreibt, dass der Aufschwung an den US-Aktienmärkten derzeit von nur wenigen großen Werten getragen wird. Zehn Unternehmen machten inzwischen rund 40 Prozent des Marktes aus. Eine derart starke Konzentration habe er in seinen 60 Jahren am Kapitalmarkt noch nie erlebt.
Gleichzeitig warnt Dr. Ehrhardt jedoch davor, die heutige Situation vorschnell mit früheren Marktphasen gleichzusetzen. Insbesondere der Vergleich mit der Dotcom-Blase greife aus seiner Sicht zu kurz. Ein wesentlicher Unterschied liege in der Finanzierung der Investitionen. Während zur Jahrtausendwende viele Unternehmen stark auf Fremdkapital angewiesen gewesen seien, würden große Konzerne ihre aktuellen Investitionen – auch im Bereich Künstlicher Intelligenz – heute überwiegend aus dem laufenden Cashflow stemmen. Erst wenn Investitionen zunehmend über Schulden finanziert würden, sieht Dr. Ehrhardt Anlass zur Vorsicht.
Entscheidend seien für ihn weniger kurzfristige Marktbewegungen oder Schlagzeilen als vielmehr konkrete Signale aus der Realwirtschaft. Besonders aufmerksam verfolgt er dabei die Entwicklung in vor- und nachgelagerten Bereichen, etwa dort, wo Investitionen unmittelbar auf reale Nachfrage treffen. Veränderungen bei Auftragseingängen oder Investitionsentscheidungen seien aus seiner Sicht aussagekräftiger als Bewertungen allein.
Letztlich werde sich zeigen müssen, ob sich die hohen Erwartungen rund um Künstliche Intelligenz auch wirtschaftlich rechtfertigen lassen. Noch sei nicht klar erkennbar, wie sich daraus dauerhaft Gewinne erzielen lassen. Ein möglicher Börsengang von OpenAI im kommenden Mai könnte dabei ein Zeitpunkt sein, an dem sich Marktstimmung und Erwartungen erstmals konkret bewähren müssen.