Die Stanford-Studie zu Künstlicher Intelligenz (KI) und White-Collar-Jobs hat für Aufsehen gesorgt. Im Interview erklärt Client Portfolio Manager Oleg Schantorenko, warum Produktivitätsschübe noch auf sich warten lassen, weshalb vor allem Büroarbeiter zittern müssen – und wieso Europa im globalen KI-Rennen ins Hintertreffen geraten ist. Das Interview erschien im Magazin “Trends im Asset Management”.
TiAM FundResearch: Herr Schantorenko, die Stanford-Studie über die Auswirkungen generativer Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Arbeitsmarkt hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Haben Sie die Ergebnisse erwartet?
Oleg Schantorenko: Ja, im Grunde schon. Wir hatten das Thema schon im Sommer intern diskutiert und kurze Zeit später erschien die Stanford-Studie. Natürlich hat die breite mediale Berichterstattung das Überraschungsmoment unserer Erkenntnisse etwas genommen, aber wir fühlen uns in unseren Einschätzungen bestätigt.
Besonders betroffen scheinen demnach White-Collar-Jobs. Welche Entwicklungen sehen Sie dort?
Die Stanford-Studie zeigt: Gerade Tätigkeiten am Computer sind erstaunlich leicht automatisierbar – viel leichter als physische Arbeiten. Betroffen sind vor allem Entwickler, Buchhalter, Assistenten oder Berater. In klassischen Beratungshäusern sehen wir bereits einen Rückgang bei Junior-Positionen: Früher wurden Teams von 15 Leuten eingesetzt, heute erledigen vielleicht noch zwei bis drei Mitarbeitende zusammen mit KI-Tools dieselbe Arbeit.
Viele gingen bisher aber davon aus, dass eher Blue-Collar-Jobs durch Automatisierung gefährdet sind. Ist das eine Fehleinschätzung?
Zumindest kurzfristig ja. Überraschenderweise gelten Taxifahrer und andere Fahrer in den Studien als relativ geschützte Berufe, während Business-Services wie Research, Terminplanung oder Präsentationsvorbereitung laut der Stanford-Studie am stärksten von KI betroffen sind. Bei White-Collar-Jobs in Professional Business Services – ein Sektor mit über 23 Millionen Beschäftigten in den USA – zeigt sich bereits ein klarer Rückgang, während etwa in Bau oder Hotellerie keine Einbrüche sichtbar sind.
Welche Rolle spielen Manager in dieser Entwicklung?
Eine zentrale. Alles, was mit Entscheidungen zu tun hat, lässt sich nur schwer automatisieren. KI kann unterstützen, analysieren, vorbereiten – aber die Verantwortung für eine Entscheidung bleibt beim Menschen. Entscheidungen tragen Konsequenzen, und genau deshalb sind Manager-Positionen deutlich besser geschützt.
Und die Beschäftigten? Müssen wir mit Massenentlassungen rechnen?
Nein, zumindest nicht auf breiter Front. Wahrscheinlicher ist, dass Unternehmen beim Wachstum neue Positionen nicht mehr in gleichem Maße schaffen, sondern vorhandene Teams durch KI effizienter machen. Das ist eher ein Fall von „verändertem Wachstumspfad“ als von akuten Entlassungswellen. Für Berufseinsteiger kann dies ein Problem sein.
Viele Beobachter erwarteten bereits nach dem „ChatGPT-Moment“ einen sofortigen Produktivitätsschub. Bisher zeigen die Daten aber etwas anderes. Wie erklären Sie das?
Das stimmt. Die Produktivität in den USA – gemessen als Output pro Stunde – liegt deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt. Statt unmittelbarer Effizienzgewinne sehen wir bislang vor allem Investitionen: in Rechenzentren, in Forschung, in interne Projektteams. Das ist quasi eine Vorleistung. Der positive Fall wäre, dass sich diese Investitionen in einigen Jahren in steigender Produktivität niederschlagen. Der negative Fall: Die Modelle finden schlicht noch nicht die Probleme, für die sie die Lösung sein sollen.
Sehen Sie die aktuelle KI-Entwicklung als Meilenstein, vergleichbar mit Internet oder Smartphone?
Ja, langfristig auf jeden Fall. Aber als Menschen neigen wir dazu, kurzfristig zu überschätzen und langfristig zu unterschätzen. Die eigentliche Durchdringung in Wirtschaft und Gesellschaft wird Zeit brauchen – vielleicht ein Jahrzehnt. Ein gutes Beispiel ist Video-Streaming: Anfangs war man skeptisch, ob Kunden wirklich dafür zahlen. Heute ist es in den meisten Haushalten Standard.
Aber bisher sind die Anwendungsfelder für KI eher überschaubar geblieben, oder?
Genau. Viele KI-Nutzungen sind derzeit eher „Helferlein“ – etwa bei Textzusammenfassungen oder Präsentationen. Wirklich bahnbrechende Anwendungen für die breite Masse fehlen noch. Zudem ist die Monetarisierung ein Problem: Die Investitionen belaufen sich auf hunderte Milliarden Dollar, während Einnahmen über Abos oder Unternehmenslösungen bislang in keinem Verhältnis dazu stehen.
Was bedeutet das für Unternehmen und Branchen?
Im Tech-Bereich profitieren derzeit vor allem Hardware-Anbieter, weil enorme Infrastruktur benötigt wird. Software-Unternehmen können ihre Produkte mit KI anreichern – manche werden gewinnen, andere verlieren. In klassischen Industrien sehen wir den Einsatz von KI aktuell noch sehr zögerlich. Dort dürfte das Thema eher über Effizienzsteigerungen bei bestehenden Prozessen Einzug halten.
Europa spielt in der globalen KI-Entwicklung bisher nur eine Nebenrolle. Woran liegt das?
Europa hat sich mit dem KI Act früh auf Regulierung konzentriert – aus meiner Sicht taktisch unklug. Während in den USA Kapital, Innovation und Talente zusammenkommen, mangelt es Europa an Risikokapital und attraktiven Start-up-Ökosystemen. Viele kluge Köpfe wandern ab. Faktisch ist Europa heute eher Konsument als Innovator.
Könnte sich das noch ändern, oder ist der Zug bereits abgefahren?
Ganz ehrlich: Die großen Plattformen entstehen nicht mehr hier. Natürlich gibt es in Berlin, Barcelona oder London interessante Start-ups, aber nach zweieinhalb Jahren ChatGPT-Ära sehen wir keine europäische Erfolgsgeschichte. Ich rechne allenfalls mit Nischenlösungen, während die Skaleneffekte bei US- und asiatischen Playern liegen.
Wo stehen die USA im Vergleich zu Asien?
Die USA sind praktisch in jeder Stufe der Wertschöpfung vertreten – vom Chip-Design über Foundries bis hin zu Software. Asien, insbesondere Taiwan, spielt eine Schlüsselrolle in der Produktion. Europa ist nur selektiv präsent. Eine echte Schwachstelle der USA sind die seltenen Erden, ansonsten sind sie nahezu autark.
Sie haben die Investmentperspektive erwähnt: Welche Sektoren profitieren besonders von KI?
Halbleiter und KI sind derzeit die wenigen globalen Wachstumssegmente mit 20 Prozent und mehr Wachstum pro Jahr. Als Asset Manager kommen wir um diese Märkte nicht herum, auch wenn das Dollar-Risiko gesteuert werden muss. Ein zweiter Wachstumsbereich ist Rüstung, der allerdings für uns aus Nachhaltigkeitsgründen aktuell nicht investierbar ist.
Wie positioniert sich DJE selbst im Umgang mit KI?
Wir haben eine klare KI-Policy. Das heißt: KI wird eingesetzt, um repetitive Aufgaben zu reduzieren und die Produktivität zu erhöhen. Gleichzeitig achten wir strikt auf Datenschutz – sensible Kundendaten dürfen nicht in offene Modelle hochgeladen werden. Im Research nutzen wir KI bereits als Ergänzung zu klassischen Quellen wie Brokern oder Google.
Viele sehen auch Risiken – etwa eine Informationsflut, die niemand mehr verarbeitet. Teilen Sie diese Sorge?
Ja, das ist ein reales Problem. KI kann kleine Informationen aufblasen und dadurch scheinbar mehr Komplexität erzeugen, als eigentlich da ist. Dann landet das aufgeblähte Dokument wieder in einem anderen Tool zur Zusammenfassung. So entsteht ein ineffizienter Kreislauf. Entscheidend bleibt, dass wir KI sinnvoll einsetzen – nicht um Inhalte künstlich zu vergrößern, sondern um echte Effizienz zu schaffen.
Zum Schluss noch Ihr Marktausblick: Wie positioniert sich DJE derzeit bei Aktien, Anleihen und Gold?
Aktien bleiben unsere bevorzugte Anlageklasse, weil sie reale Assets darstellen und einen gewissen Inflationsschutz bieten. Unternehmensanleihen sind aktuell recht hoch bewertet, deshalb spielt Emittentenselektion eine große Rolle. Staatsanleihen erscheinen auf den ersten Blick attraktiv, leiden aber unter hohen Haushaltsdefiziten und steigenden Zinsen. Gold ist der klare Profiteur der aktuellen Lage – als sicherer Hafen und Inflationsschutz.
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